Das ist das Stichwort dieses Films. Er will es jetzt wissen. Er will den Satz zu Ende sprechen. Verständlich, dass es da Befürchtungen gibt. Doch ehe man abwinkt, wie es jetzt manche tun, weil man es „nicht mehr hören kann“, oder andere, durchaus zu Recht, die „Hitler sells“ rufen: Nichts dergleichen liegt hier vor.
Fünf Freunde, die sich 1941 in Berlin treffen, darunter ein Jude, und die unsere Eltern oder Großeltern sein könnten, junge, sympathische Leute, ein wirklicher Nazi ist nicht unter ihnen. Und nun zeigt der Film, wie sich in nur vier Jahren Charakter, Person, Moral und Land fundamental verändern. „Verändern“ ist hier nur ein anderes Wort für den Prozess einer vollständigen Vernichtung.
Als Zuschauer befindet man sich bei den drei Teilen dieses Films in einer ständigen Suchbewegung: Immer will man sein „Vertrauen“ an einer Figur festmachen, sich mit ihr identifizieren und - das Wort ist keinesfalls zu pathetisch - eine Art von moralischer und sozialer Geborgenheit in einer intakten Persönlichkeit finden. Es ist genau das, was den Titel „Unsere Mütter, unsere Väter“ so überaus plausibel macht: Die Ursehnsucht nach demjenigen oder derjenigen, die einen nicht im Stich lassen. Aber die Sehnsucht, die der Film am Anfang befördert, entzieht er mit jeder Minute.
Die barbarische Kälte der Welt
Da ist, von Viktor, dem verfolgten Juden, abgesehen, niemand, der nicht an dem Prozess der moralischen Selbstzerstörung beteiligt wäre. Das ist, jenseits einiger Szenen, das Grausame dieses Werks: Es reproduziert die barbarische Kälte der Welt, die es beschreibt, indem es den Zuschauer in Illusionen wiegt, die es sogleich selbst zerstört. Eine umfängliche Literatur hat immer wieder die Charakteristika der Täter durchleuchtet, von den Einsatzgruppen bis zum politischen Personal des Dritten Reichs.
Was aber viel schwerer zu verstehen ist, das ist eine Figur, die als junge Krankenschwester sogar russischen Kriegsgefangenen beisteht und dennoch, in einem nachgerade unfassbar routinierten Prozess, die jüdische Mit-Krankenschwester denunziert. Eine Figur, die die Entmenschlichung des Krieges durchschaut, sich den Parolen entzieht und dennoch auf die Idee kommt, Kriegsgefangene zum selbstmörderischen Aufspüren von Minen einzusetzen.
Unmöglich, alle Details dieses Films zu beschreiben. Selten zuvor beispielsweise hat man so sehr verstanden, wie die Indoktrinationsmaschine des Nationalsozialismus funktionierte. Und eigentlich noch nie hat man so klar sehen können, dass auch die Feinde der Nazis nicht die Freunde ihrer Opfer sein mussten. Die - authentische - Geschichte des Juden Viktor, der unter Partisanen gerät, die aus ihrem Antisemitismus keinen Hehl machen, gehört zu den berührendsten Momenten dieses Films. Er zeigt, anders, als es unsere Hollywood-Phantasie uns einredet, dass die Opfer in Wahrheit vollständig allein und einsam waren: eine in humanistischer Empörung vereinte zivilisatorische Gegenwelt, wie sie Thomas Mann in seinen Radioansprachen beschworen hat, war in Wahrheit wie die Zivilisation eines anderen Planeten.
Eine neue Phase der Aufarbeitung
Dieser Film, den Nico Hofmann produziert und dessen vorzügliches Drehbuch Stefan Kolditz geschrieben hat, besitzt in seiner unbestreitbaren Wucht und Monstrosität die Chance, den letzten Zeitgenossen noch einmal inmitten ihrer Familie die Zunge zu lösen. Er leitet, das haben Vorabkritiken mit Recht hervorgehoben, eine neue Phase der filmisch-historischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus ein.
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Schwer zu verstehen: Die Krankenschwester Greta (Katharina Schüttler) - hier zusammen mit ihrer Freundin Charlotte (Miriam Stein) - steht sogar russischen Kriegsgefangenen bei, denunziert aber eine jüdische Mit-Krankenschwester
Nico Hofmann, den mancher gerne für unernst hält, weil er auch unernste Stoffe produziert, ist selbst der Protagonist dieser neuen Phase. Er, Jahrgang 1959, der nun endgültig zu den ganz großen Produzenten des Landes gezählt werden muss, redet auch von seiner eigenen Mutter und seinem eigenen Vater, und man geht nicht zu weit, wenn man behauptet, dass er die siebenjährige Arbeit an diesem Film auch deshalb auf sich nahm, um mit seinen Eltern ein letztes Mal ins Gespräch zu kommen.